Kanada (28.09.2014)

Wir wollten heute, nachdem wir den Eagle Vista Campground verlassen hatten, von Squamish aus bis hinter Vancouver fahren. Das erste Teilstück bot noch einmal einen recht ansehnlichen Anblick. Wir hielten bei zwei Viewpoints an, die aber nicht so vielversprechend waren, denn man sah bei beiden Haltepunkten leider nur Bäume und konnte allenfalls schemenhaft erkennen, was dahinter zu sehen war.

Als wir kurz vor Vancouver waren, genauer gesagt zwischen West und North Vancouver, war Grouse Mountain ausgeschildert. Da wir gehört hatten, daß es spätestens dort oben Grizzlybären zu sehen gäbe, weil sie in einem Gehege gehalten werden, fuhren wir kurzerhand ab. Die Straße zog sich ein wenig, bis wir an deren Ende links auf einen Parkplatz fuhren, auf dem aber leider nichts mehr frei war. Direkt gegenüber lag der nächste Parkplatz und hier wurden wir fündig. Die Parkgebühren betrugen $4 für den ganzen Tag, so daß wir theoretisch bis 11.59 p.m. dort hätten stehenbleiben dürfen. Genug Zeit also, um uns dem zu widmen, von dem wir überhaupt nicht wußten, was es sein würde. Wir suchten zunächst ein Gebäude auf, an dem „Guest Service“ geschrieben stand. Augenscheinlich konnte man hier Tickets für die Gondel auf den Berg kaufen. Wir sahen den Preis von $55.95! Ein wenig geschockt verließen wir das Häuschen und waren uns nicht ganz sicher, was wir davon halten sollten. Immerhin war uns nicht so ganz bewußt, was es oben auf dem 1250 m hohen Berg zu sehen gab. Gott sei Dank gab es einen Starbucks, dessen free wifi wir nutzen wollten, um uns bei TripAdvisor zu informieren. Die dort befindlichen zwei Testberichte klangen vielversprechend, so daß wir uns kurzerhand entschlossen, Tickets zu kaufen, nachdem wir herausgefunden hatten, daß die normale Fahrt mit der Gondel lediglich $41.95 kostete und die restlichen $14 dafür bestimmt waren, um ganz auf den Gipfel zu gelangen und dort auch noch auf die Aussichtsplattform von „The Eye of the Wind“, dem Windrad auf dem Berggipfel. Wenn man nur bis zum Gipfel wollte, kostete das Ticket $45.95. Also gingen wir wieder in das Häuschen zurück, stellten uns in die mittlerweile doch angewachsene Schlange. Vorhin hätten drei Mann vor uns gestanden und nun waren es 10 oder 15. So genau konnte man das nicht sagen, denn immer ging irgendwer und ein anderer kam zu einer vor uns stehenden Gruppe hinzu. Das Prozedere dauerte bei lediglich zwei geöffneten Kassen ein wenig. Noch war Zeit genug, uns alles noch einmal anders zu überlegen. Hinter uns befand sich eine kleine Treppe mit vier oder fünf Stufen und rechts davon, also in erhöhter Position hinter den Verkaufsschaltern ein kleiner Souvenirshop. Ob man da wohl auch Tickets kaufen konnte? Und während wir so überlegten, rief die Frau zu uns Wartenden, daß man bei ihr auch Tagestickets kaufen konnte. Zack, auf dem Absatz gewendet, schnell die paar Stufen hoch und schon standen wir am Verkaufstresen, kauften unsere beiden Tickets und waren auf dem Weg zur Gondel. Dort hatte sich ebenfalls eine lange Schlange gebildet, weil sich hier ein weiterer Ticketschalter befand. Wir stellten uns ans Ende der Schlange, aber waren uns eigentlich sicher, daß wir hier nicht stehen mußten. Ich sah mir den Anfang der Schlange an, sprach eine Mitarbeiterin an, die mir mitteilte, daß wir mit unseren Tickets schön an allen vorbeigehen konnten. Wunderbar! Als unsere Tickets kontrolliert waren, standen wir ganz vorne in der Wartezone. Es dauerte nicht lange, bis die Gondel von oben kam und wir, nachdem die Gäste auf der einen Seite ausgestiegen waren, einsteigen konnten. Meine Frau kam mit einer älteren Dame ins Gespräch, die seinerzeit Germanistik in Freiburg studiert hatte und jetzt als Deutschlehrerin wieder in Vancouver lebte.

Oben angekommen, verließen wir die Gondel und befanden uns damit auf dem Grouse Mountain. Es war alles gut ausgeschildert und wir sahen zunächst von rechts einen Helikopter herannahen. Helikoptertouren konnte man ebenfalls zum Preis von $150 buchen. Wir gingen in Richtung Norden und kamen dabei an einer Bühne vorbei, deren Tribünen bereits gut besetzt waren, weil dort um 2.30 p.m., also in zehn Minuten, eine „Lumberjack-Show“ stattfinden sollte. Wir wollten aber zu den Bären. Man mußte eigentlich nur schauen, wo der größte Menschenauflauf war, denn dort waren die Grizzlybären zu sehen. Und tatsächlich! Als wir am Gehege ankamen, sahen wir sie: zwei dreizehn Jahre alte Grizzlys. Wir machten ein paar Fotos und gingen dann in das „Grizzly Lookout Café“, eine Art Zelt auf einem Holzplateau, in dem man nicht nur etwas zu trinken und Souvenirs kaufen, sondern sich auch über Grinder und Coola, die beiden Bären, informieren konnte. Coola zum Beispiel wurde neben seiner vom Auto überfahrenen Mutter gefunden und wäre wahrscheinlich alleine nicht überlebensfähig gewesen, weshalb er hier versorgt wurde. Die Geschichte von Grinder habe ich leider nicht gefunden. Einer von beiden wog lediglich 4,1 kg, als er gefunden wurde. Mittlerweile brachten die beiden 360 kg bzw. 410 kg auf die Waage.

Als wir zunächst einmal genug gesehen hatten, war es an der Zeit, die „Peak Experience“, also die Fahrt mit dem Sessellift in Richtung Bergspitze in Angriff zu nehmen. Dort war fast gar nichts los und wir lachten noch darüber, daß die Leute tatenlos im Sessellift sitzen mußten, als er kurz zum Stillstand kam. Unsere Karten wurden wieder gescannt, ich mußte meinen Rucksack vom Rücken nehmen und schon kam die Sitzgelegenheit um die Ecke. Wie es dabei so üblich ist, wurden wir durch den Schwung des herannahenden „Sessels“ in den Sitz gedrückt, der Bügel wurde geschlossen und los ging’s. Und kaum hatten wir den Boden unter den Füßen verloren und gewannen an Höhe, vernahm ich das leichte Schaukeln unseres Sitzes als nicht gerade angenehm. Ich hielt mich an der Stange des Bügels vor mir fest und merkte, wie der Griff immer fester und die Hände immer feuchter wurden. Meine Frau saß rechts neben mir und teilte mit, daß „das Ding aber ganz schön schaukelt“. Da sie unter Flugangst leidet, folgte der Zusatz „wie bei Turbulenzen“. Ich sagte nur „Mach die Augen zu, dann siehste nix!“, was sie aber verneinte, weil es für sie dann noch schlimmer wurde. Ich hatte meine Augen mittlerweile tatsächlich geschlossen und hoffte auf ein rasches Ende der Fahrt. Meine Frau teilte mir ganz beiläufig mit, daß sie sofort aus dem Sitz springe, wenn sie eine Panikattacke bekäme. Sehr beruhigend! Und so ging es für den Rest der Fahrt weiter. Wir bekleckerten uns nicht gerade mit Ruhm, so als gestandene Erwachsene auf einem Sessellift. Als ich zwischendrin mal kurz die Augen öffnete und nach unten guckte, hatten wir wohl gerade den höchsten Punkt erreicht. Na prima! Jetzt bloß nicht nach unten gucken! Und wie ist das, wenn man sich vornimmt, etwas ganz bestimmt nicht zu tun? Man tut es doch. Neben mir hörte ich, wie meine Frau schon wieder was von „Flugangst“ und „Panikattacke“ sagte. Ich löste kurz den Griff um den Bügel, um sofort noch fester zuzupacken. In der anderen Hand hielt ich krampfhaft meine Spiegelreflexkamera. Ab und an blickte ich in die Gesichter der Leute, die uns entgegenkamen, also nach unten fuhren. Die schaukelten mit den Beinen und sahen meistens ganz entspannt aus. Und wieder ruckelte es, weil wir einen Mast erreicht hatten. Aber das hieß auch, daß das Ende näher kam. Am Horizont konnte man schon die Bergstation erkennen. Gleich wären wir wieder in Sicherheit. Puh! „Turbulenzen“, „Flugangst“, „…springe gleich…“ Und kurz bevor wir den sicheren Boden erreichten, es mögen so ca. dreißig Meter gewesen sein, stoppte der Sessellift und wir saßen nun unsererseits tatenlos rum. Das Ende so nah und doch so weit entfernt. „Es geht bestimmt sofort weiter!“ Ich sprach uns selber Mut zu. Als Antwort kam nur „Ich geh zu Fuß wieder runter.“ Und nach einer gefühlten Ewigkeit, vielleicht zwanzig Sekunden, setzte sich die Bahn wieder in Bewegung. Als der Sessellift oben angekommen war und wir aussteigen konnten, fragte ich als erstes eine der Mitarbeiterinnen, ob es auch einen Fußweg nach unten gäbe. Natürlich gab es einen, aber der sei nicht empfehlenswert, weil es ein Schotterweg war und dieser sehr steil sei. Die Atmung erreichte wieder normale Geschwindigkeit und so langsam konnten wir den Ausblick von hier oben genießen. Und der war wirklich gigantisch. Leider guckten wir gegen die Sonne, aber wir sahen Vancouver vor uns liegen. Wir erkannten den Stanley Park, den wir vor knapp drei Wochen noch mit dem Fahrrad umrundet hatten. Canada Place war auch zu erkennen und vor der Küste lagen – ähnlich wie letztes Jahr in Gibraltar – sehr viele Schiffe.

Hinter uns stand das „Auge des Windes“ und wir erfuhren von einer Asiatin, die Tickets dafür gekauft hatte, daß der Aufzug ausgefallen war und nun Personen auf der Aussichtsplattform feststeckten. Das erklärte auch das Auto, das sich in Richtung Gipfel bewegte, als wir auf dem Weg zum Sessellift waren. Als wir auf das Windrad zugingen, kamen die eingesperrten Touristen gerade raus und wurden anschließend mit Autos nach unten gefahren. Uns war sofort klar: Wenn es einen Weg für ein Auto gibt, dann kommen wir auch zu Fuß hier runter. Dieser Rückweg gestaltete sich dann einfacher als gedacht. Nach links hatten wir einen absolut traumhaften Ausblick auf Baker Mountain, den höchsten Berg Washingtons. Als wir wieder am Bärengehege ankamen, schauten wir noch ein wenig, machten ein paar Fotos und gingen dann in Richtung Gondel. Auf dem Weg dorthin entschieden wir uns, daß wir hier oben nichts essen wollten, denn das hätte für zwei Personen gut und gerne ca. $35 gekostet. An der Station angekommen, von wo aus die Gondel talwärts fuhr, hatte sich eine Schlange gebildet, dessen Ende wir gar nicht sehen konnten. Als wir es erreicht hatten, standen bestimmt 150 Leute vor uns. Links neben uns befand sich das Chalet von Grouse Mountain und ich nutzte die Wartezeit und stattete ihm einen Besuch ab. Drinnen befand sich – natürlich – ein Gift-Shop und zu meiner Freude war die Olympische Fackel von 2010 dort ausgestellt. Als wir im Anschluß noch eine Minute in der Warteschlange standen, kam ein Mitarbeiter und bot 40 Personen an, mit der „blue tram“ zu fahren, wenn sie wollten. Wir nahmen ein Ticket, ohne zu wissen, was uns denn erwartete. Wir sollten einer Mitarbeiterin folgen und diese führte uns durch das Chalet zum Lastenaufzug, der „blue tram“, weil die Gondel blau war, mit dem wir dann talwärts fuhren. Wir hatten also ein wenig Zeit gespart. Nachdem wir wieder im Wohnmobil saßen, hatte sich die Parkplatzsituation immer noch nicht merklich verbessert und eine Frau lauerte schon auf unseren Parkplatz. Ich gab ihr unser Parkticket, so daß sie $4 sparte und wir fuhren den gleichen Weg zurück zum Highway. Als wir ihn erreicht hatten, steuerte ich unser Wohnmobil nach Osten, denn wir wollten Vancouver ja hinter uns lassen. Wir mußten allerdings den Highway 1 unbedingt verlassen, denn der führte im weiteren Verlauf über eine „toll bridge“ und warum sollte man bezahlen, wenn man auch anders ans Ziel kam?

Unsere nun folgende Odyssee durch die Vororte von Vancouver ist im nachhinein gar nicht mehr ganz rekonstruierbar, jedenfalls nicht ohne Auswertung der GPS-Daten meines Garmins. Wir verließen irgendwann den Highway 1 und wollten auf den Highway 7, der nördlich des Fraser Rivers nach Osten führte. Wir fuhren durch städtisches Gebiet mit vielen chinesischen Zeichen an den Geschäften, dann durch eine ziemlich heruntergekommene Gegend, in der ich hoffte, hier nicht liegenzubleiben. Und als wir uns wieder an den Highway herantasteten, gab es keinerlei Beschilderung mehr. Der Orientierungssinn sagte uns, daß wir erst nach rechts und später dann nach links fahren mußten, weil der Highway eben rechts von uns lag. Dieser Orientierungssinn mit dem nicht funktionierenden GPS-Signal auf dem Smartphone meiner Frau führte uns in ein Wohngebiet, fast auf den Parkplatz eines Krankenhauses und in Sackgassen – kurz gesagt: überall dorthin, wo wir nicht hin wollten. Wir sahen streckenweise den Highway, fanden dann aber nur Auffahrten in Gegenrichtung, so daß wir wieder umkehrten. Der Blutdruck stieg und die innerliche Aggressivität nahm zu. Nach einigen Abbiegevorgängen und mit ein wenig Glück waren wir dann endlich mal auf dem Highway 7 angekommen, dem wir folgten. Wir befuhren eine breit ausgebaute Straße mit etlichen Geschäften auf beiden Seiten entlang, die bis zum Horizont führte. Ein Ende der Stadt war erstmal nicht in Sicht. Als die Bäume dann mehr und die Geschäfte weniger wurden, überkam uns der Hunger und wir erreichten Mission. An einer Ampel stehend befand sich rechts von uns ein Subway, den wir ansteuerten. Nach zwei Chicken Teryaki zum Mitnehmen, deren Hälfte wir direkt im Wohnmobil verdrückten, war zumindest ein Problem beseitigt. Wir entschieden uns, daß wir heute bis Harrison Hot Springs durchziehen und dort dann zwei Nächte bleiben wollten. Meine Frau setzte sich hinter’s Steuer, weil ich absolut keinen Bock mehr hatte zu fahren. Warum hatten wir eigentlich nicht das Navi aus meinem Garmin genommen?

Mittlerweile dämmerte es und wir fuhren weiter ostwärts. Im Subway bemühten wir das Internet, das uns eine Reststrecke von 44 km anzeigte, die wir in 48 Minuten fahren sollten. Die Straßen wurden immer leerer und auch ein wenig kurviger, ehe wir dann nach einer langen Geraden endlich Harrison Hot Springs erreichten. Im Infomaterial aus dem Visitor Centre hatten wir von einem direkt hinter dem Ortseingang liegenden Campingplatz gelesen. Als wir den gefunden hatten, fuhren wir auf das sehr dunkle Gelände bis zum Office. Nachdem wir ausstiegen und zur Tür gingen, war diese verschlossen. Aus dem Dunkel kam ein weißer Hund auf uns zugerannt und dahinter eine kleine Asiatin, die uns freundlich begrüßte. Sie zeigte uns unseren Stellplatz direkt neben dem Office, nachdem wir ihr sagten, daß wir für zwei Nächte bleiben wollten. Wir sollten zunächst einparken und dann würde sie das Büro für uns öffnen. Das dauerte eine Weile und die Dame entschuldigte sich, weil sie erst einmal die Hunde einfangen mußte. Hinter dem Tresen lugte interessiert ein Galgo hervor. Wir kamen mit der Dame darüber ins Gespräch und sie fragte uns, ob wir Spanier seien, weil wir den Namen der Hunderasse kannten. Wir teilten ihr mit, daß wir aus Germany seien: „Oh, in Germany they say ‚Windhund’“ – „Yes, that’s right.“ Wir bezahlten $95.55 für zwei Nächte, verabschiedeten uns in die Nacht und ein aufregender Tag ging so langsam zu Ende.

zum 29.09.2014

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